
Rettet KI Biotech-IP?
Künstliche Intelligenz soll Biotech-Patente retten, doch das Europäische Patentamt verlangt auch von ihr Transparenz, Nacharbeitbarkeit, Validität und technische Plausibilität. Wo liegt dann das Potential einer „virtuellen Evidenzbasis“?
Das altbekannte Problem der Biotech-Patente – mangelnde Ausführbarkeit (Art. 83 EPÜ) oder nicht nachweisbare erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ) – scheint mit dem Aufstieg künstlicher Intelligenz (KI) endlich lösbar. Oder doch nicht?
Hoffnung und Ernüchterung
Biotech-Unternehmen kennen das Dilemma: Patentansprüche müssen oft stark eingeschränkt werden, um Einwände des Europäischen Patentamts (EPA) und Angriffe von Wettbewerbern zu überwinden. Mehr Daten, mehr Experimente, doch woher nehmen, wenn Zeit und Ressourcen knapp sind?
Hier kommt die Hoffnung auf KI ins Spiel: Systeme, die aus realen Experimenten lernen, könnten unzählige Varianten in silico simulieren und überzeugende Ergebnisse liefern. Theoretisch könnten sie so die technische Wirkung eines breiten Anspruchs absichern. Klingt verlockend, die Praxis ist jedoch ernüchternd. Denn auch KI-basierte Systeme müssen dieselben Patentierungshürden wie Biotech-Erfindungen selbst nehmen: Ausführbarkeit und Plausibilität. Nach der Entscheidung T0161/18 ist eine KI nur dann „ausführbar“, wenn Trainingsdaten, Merkmale des neuronalen Netzwerks und Lernverfahren konkret offengelegt sind. Das trainierte Modell muss kalibriert und mit Referenzexperimenten validiert werden, damit der Output als biologisch valide Aussage gilt. Die bloße Angabe, ein „neuronales Netz“ sei trainiert worden, reicht nicht.
Auch KI ist beweispflichtig
Übertragen auf komplexe biologische Systeme bedeutet das: Eine „Biotech-KI-Blackbox“ ist weder als Erfindung patentfähig noch geeignet, plausible In-silico-Daten zur Stützung technischer Effekte zu liefern.
Wird KI selbst als Erfindung beansprucht, gelten strenge Anforderungen an Nacharbeitbarkeit und technische Offenbarung. Wird sie hingegen als Forschungswerkzeug genutzt – etwa zur Simulation biologischer Reaktionen – steht ihr Output im Fokus. Doch auch hier sind Nacharbeitbarkeit, Validität und Plausibilität entscheidend. Eine nicht evaluierte oder unzureichend beschriebene KI kann keine belastbaren technischen Effekte belegen.
Grenzen des virtuellen Labors
Für die „virtuelle Biotechnologie“ gilt zudem: Das KI-System muss das zu lösende (bio)medizinische Problem korrekt abbilden. Allgemeine Hinweise auf Trainings- oder Validierungsdaten reichen nicht aus (T 1191/19). Soll etwa die Bindung einer CAR-T-Zelle oder die Antikörper-Antigen-Interaktion oder eine Immunantwort simuliert werden, müssen biochemische, molekularbiologische und weitere der Fachwelt geläufige Parameter detailliert beschrieben sein. Wird ein unzureichend dokumentiertes Analyseverfahren nur digital nachgebildet, bleibt der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit bestehen
(T 1462/22).
Ob sich diese Maßstäbe künftig ändern, bleibt offen. Mit der wachsenden Rolle von KI in Forschung und Entwicklung dürfte sich aber auch die EPA-Praxis weiterentwickeln – etwa mit klareren Leitlinien zur Offenbarungspflicht von Trainingsdaten und KI-Validierung. Auch ein abgestimmter Rahmen zwischen KI-Regulierung (EU AI Act) und Patentrecht könnte entstehen, um KI-generierte Daten rechtssicher zu bewerten.
Langfristig wäre so eine „verifizierbare virtuelle Evidenzbasis“ denkbar, in der validierte Simulationen als ergänzende Beweismittel anerkannt werden.
Neue Realitäten möglich?
Bislang gibt es keine EPA-Entscheidung, die sich gezielt mit KI-simulierten Daten zur Stützung einer Erfindung befasst. Maßgeblich bleiben T 0161/18, T 1191/19, T 1462/22 in Verbindung mit G 1/19 und G 2/21. Ob erst hochentwickelte virtuelle Zwillinge einer lebenden Zelle oder der zu untersuchenden biologischen Systeme – wie im EU-Projekt CERTAINTY („A Cellular Immunotherapy Virtual Twin for Personalised Cancer Treatment“) – den belastbaren Nachweis technischer Effekte ermöglichen, wird die Zukunft zeigen. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung dürfen KI-simulierte Daten zwar grundsätzlich berücksichtigt werden. Überzeugen werden sie aber nur, wenn sie die beanspruchten technischen Effekte im Einzelfall glaubhaft machen (G 2/21). Gleichzeitig darf der Maßstab an eine virtuelle Evidenzbasis nicht den der bisherigen EPA-Spruchpraxis auf dem Gebiet der „klassischen“ Biotechnologie übersteigen.
Referenzen:
Entscheidungen des Europäischen Patentamts
T 0161/18, T 1191/19, T 1462/22, G 1/19, G 2/21; EU-Projekt CERTAINTY – certainty-virtualtwin.eu
Der Gastbeitrag von Dr. Anna Katharina Heide, LL.M Dipl.-Biol., Patentanwältin, European Patent Attorney, UPC Representative, wurde |transkript 4/2025 entnommen.


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